Mittwoch, 4. Februar 2009

Haarige Zeiten

Ich habe ein neues Projekt am Institut für Rechtsmedizin. Es geht um Haaranalysen, und es ist furchtbar. Natürlich nicht das Projekt an sich, das ist eigentlich recht interessant und lässt sich mit ein bisschen Glück sogar ganz gut veröffentlichen. Es geht dabei um verschiedene Waschmöglichkeiten, um aus dem Blutkreislauf in das Haar eingebaute Substanzen von solchen zu unterscheiden, die sich durch externe Kontamination (z.B. Passivkiffen) an das Haar angeheftet haben. Und nein, ich verbringe nicht den ganzen Tag damit, Opium zu rauchen oder Haare in meinen verkoksten Händen zu kneten. :-)

Vielmehr versuche ich seit einem Monat, Standardhaare
in den bezaubernden Farben mittelblond, hellbraun, rot, japanisch-schwarz und chinesisch-blondiert zu bündeln, zu kontaminieren, zu wiegen, zu waschen, zu trocknen, kleinzumahlen, nochmals abzuwiegen und dann noch irgendwie Drogenmoleküle da heraus zu extrahieren. Und das mit zwei linken Händen. Es ist mir bis heute ein Rätsel, wie meine Chefin einem hyperaktiven Grobmotoriker wie mir ein Projekt geben konnte, das sich hauptberuflich mit Objekten befasst, die laut Wikipedia im Durchschnitt 0,1 mm dick sind.

Ok, sie hat es wirklich gut gemeint und wollte helfen, nachdem mir mein Chef in der Kopfklinik Anfang November per Mail mitgeteilt hat, er werde mich 2009 nicht mehr bezahlen und somit überraschend die 1/3 Stelle wegfiel. Ok, sie hatte da noch ein Projekt und etwas Geld im Schrank, wodurch ich meine Stelle für 6 Monate von 66% auf 81,58% aufstocken konnte. Und ok, ich war einfach wütend und wollte wieder voll arbeiten. Egal was. Da sagt man schon mal ja. Und ich will mich ja auch gar nicht beschweren, dass ich meinen Horizont mit einem neuen Projekt erweitern kann.

Noch 5 Monate. Die Kugelmühle zum Zerkleinern macht
einen gotterbärmlichen Lärm, vom Ultraschallbad zum Extrahieren mal ganz zu schweigen (erstere läuft zum Glück nur je 8 min für zwei Proben, letzteres 2-3 Stunden). Überall – auf meinem Schreibtisch, an meinen Kleidern, daheim auf meinem Laptop, in meinen Schuhen, morgens in meiner Teetasse – finde ich Haare, die mir nicht gehören. Die Zeiten, wo man mitpfeifen konnte, wenn ein gutes Lied im Radio lief, sind vorbei, das ganze erinnert mich sehr stark an meine Doktorarbeit: „Oh, nettes Lied – Moment, lagen da nicht gerade noch 50 betäubte Drosophilas vor mir?! Mist! … Ah, hallo Frank, nee, nee, alles bestens, ich bin hier grad am Auszählen und hab mir wohl einen zu breiten Pinsel dafür ausgesucht. Kein Problem, ich sammel die Fliegen schnell wieder ein, bevor sie aufwachen.“ Leider sind kleingemahlene Haare deutlich kleiner als betäubte Fliegen… – der Vorteil ist lediglich, daß sie nicht nach einer Weile aufwachen und davonfliegen…

Erschwerend kommt hinzu, daß ich zu Weihnachten ein Buch geschenkt bekommen habe (Haruki Murakami: Mister Aufziehvogel – danke, Lucie!), in dem eine Jugendliche für eine Perückenfirma Erhebungen über das zurückweichende Haupthaar ihrer männlichen Mitbürger macht und während ihrer Arbeitszeit auf öffentlichen Plätzen eine Strichliste führt mit den Kategorien: A „solche, die eine richtige Glatze haben“, B „solche, denen schon viel Haar ausgefallen war“, C „solche, deren Haar sich vielleicht etwas gelichtet hatte“. Seither ertappe ich mich hin und wieder beim Kategorisieren meiner Mitmenschen in „zu kurz“, „zu ungleichmäßig“ und „die Farbe hab ich schon“.

Meine Kollegen lachen nur noch, wenn sie mich im Labor mit dem unsichtbaren Gegner kämpfen sehen, den man weder werfen, noch hebeln, noch würgen, geschweige denn besiegen kann. Zugegeben, es hat etwas von einem Flohzirkus. Zum Ausgleich für die elende Geduld und Feinmotorik, die man aufbringen muß, um den ganzen Tag lang mit 3cm langen und 300mg schweren Haarbüscheln zu hantieren, habe ich vorletzte Woche schon den einen Gefrierschrank im Labor abgetaut. Freiwillig. Alleine (oder größtenteils alleine). Mit einem fetten Schraubenschlüssel, viel Lärm und einem wild entschlossenen leicht aggressiven Gesichtsausdruck - „Regine, ich will gar net wissen, an wen du grad denkst…“ - wurde innerhalb kürzester Zeit ein großes Laborwaschbecken voller Eis aus dem Ding rausgekloppt. Puh, ging es mir hinterher gut!


Später soll ich die kontaminierten Haare dann auch noch bleichen bzw. dauerwellen, worauf dann wieder Wiegen, Waschen, Trocknen und Mahlen nach Zahlen, Wiegen und Extrahieren folgen wird. Zum Glück haben wir im Labor noch ein paar Gefrierschränke, die dringend abgetaut werden müßten.

Für eine gerichtlich anerkannte Haaranalyse, z.B. um Abstinenz nachzuweisen, bzw. einen Idiotentest (alias medizinisch psychologische Untersuchung) braucht man mindestens 8 cm Haupthaar. Und ich habe mir geschworen, allen Kollegen potentielle Arbeit zu ersparen, indem ich meine Haare erst gar nicht so lange wachsen lasse. 6 cm ist schließlich auch eine tolle Länge. Vielleicht zur Abwechslung auch noch blondiert und dauergewellt. :-)

In diesem Sinne:
Haare Krishna, Haare Krishna, Krishna, Krishna, Haare, Haare.

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